August 31, 2022

Zunehmende Klimawandel-Klagen gegen Unternehmen

Nach Klima-Klagen gegen Staaten geraten zunehmend Großunternehmen ins gerichtliche Visier von Umweltorganisationen. Das erfordert Vorstandshandeln.

Am 26. Mai 2021 ergeht ein Urteil wie ein Paukenschlag für eine Umweltorganisation (NGO Milieudefensie) die gegen den Shell-Konzern eine Klimaklage gewinnt. Das Gericht stellt fest, dass das Unternehmen eine eigenständige Verpflichtung habe, seine Emissionen auf ein Niveau zu drosseln, das kompatibel mit dem Erreichen der Ziele des Pariser Klimaabkommens sei. Grundlage für diese Verpflichtung sei eine nach niederländischem Recht bestehende Sorgfaltspflicht. Das Gericht in Den Haag bejaht auch Verantwortung für Emissionen der Zulieferunternehmen und Endabnehmer. Royal Dutch Shell hat Berufung eingelegt. Im April 2022 weist die Umweltorganisation darauf hin, dass sich der Shell-Vorstand persönlich haftbar mache, wenn er keine Maßnahmen zur Reduzierung von CO2-Emissionen einleiten würde.

Ein peruanischer Bauer (unterstützt von Germanwatch) verklagt RWE. Der Kläger macht das Überflutungsrisiko geltend, da RWE die Erderwärmung fördere. Konkret wird Schadenersatz für den Bau eines Schutzdamms begehrt. Das Verfahren läuft seit 2015. Das Landgericht Essen hatte Ansprüche abgelehnt, ein Berufungsverfahren beim Oberlandesgericht Hamm ist anhängig. In Beweisbeschluss des OLG Hamm findet sich folgende Aussage: „Klimaschäden können eine Unternehmenshaftung begründen“, die dem Kläger Hoffnung macht.

Rückenwind für Klimaklagen resultiert aus dem Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2021 (1 BvR 2656/18). Das BVerfG folgte dem Weltklimarat und dem Sachverständigenrat für Umweltfragen, indem es einen CO2-Budgetansatz übernahm. Die zugrundeliegende Annahme ist, dass nur noch eine bestimmte Menge an Treibhausgasen ausgestossen werden darf, damit die maximal zulässige Temperaturschwelle des Pariser Klimaabkommens von 1,5-2°C eingehalten wird.

Aktuell weist Volkswagen eine Schuld am Klimawandel und dessen Auswirkungen auf die Felder eines Landwirts von sich. Greenpeace hatte hierzu Klage beim Landgericht Detmold eingereicht. VW argumentiert, dass eine verlässliche Zuordnung konkreter lokaler Wetterphänomene zum Klimawandel nicht möglich sei. Nach Auffassung des Automobilkonzerns beschreibe der Kläger nur die allgemeinen großräumigen Folgen des Klimawandels. Wann dem Landwirt wodurch und wie eine konkrete Beeinträchtigung droht, bleibe offen. Der Landwirt fordert in seiner Klage, dass Volkswagen schon ab 2030 keine Autos mit Verbrennungsmotoren mehr verkaufen darf, fünf Jahre früher, als es die EU-Kommission von den Autokonzernen verlangt. Weitere Klagen der DUH (Deutsche Umwelthilfe) vom September 2021 mit gleichem Inhalt wurden gegen Mercedes-Benz und BMW angestrengt.

Aber nicht nur Automobilhersteller stehen im Fokus. Eine Klage gegen Wintershall DEA soll das Unternehmen zwingen ab 2026 keine neuen Öl- und Gasfelder mehr zu erschließen und bis dahin seine CO2-Emissionen zu reduzieren.

Vorstandshaftung

Für Vorstände und Aufsichtsräte erhalten ESG-Themen eine höhere Relevanz, weil kein namhaftes Unternehmen mehr ausschließen kann, in diesem Zusammenhang verklagt zu werden. Zudem existieren zahlreiche ESG-Gesetzesinitiativen auf nationaler und EU-Ebene, die neuen Anforderungen aus dem Deutschen Corporate Governance-Kodex sowie der Erwartungshaltung von institutionellen Investoren und Stimmrechtsberatern. Die Börsenzeitung titelt in einem Beitrag vom 12. März 2022: Geschäftsleiter haften für die Einhaltung der ESG-Vorschriften. Aufgrund der Legalitäts- und Sorgfaltspflichten müssen Entscheidungen umfassend dokumentiert werden. Noch existiert keine explizite aktienrechtliche Vorschrift für Vorstände, nachhaltig zu handeln, aber es existieren nachhaltigkeitsbezogene Einzelpflichten in Spezialgesetzen (Berichterstattungen gemäß §§ 289b, 289c, 315b, 315c HGB) und die Auswirkungen von ESG-Faktoren auf die Business-Judgement-Rule-Entscheidungen. Hiernach fordert § 93 Absatz 1 Satz 2 AktG das Vorstände Entscheidungen im Unternehmensinteresse und auf Grundlage angemessener Informationen treffen müssen.

Das Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG) verpflichtet seit 1. Juli 2021 Vorstände von börsennotierten Unternehmen, ein angemessenes Kontroll- und Risikomanagementsystem einrichten zu müssen (§ 91 Absatz 3 AktG). Das heisst jedoch nicht, dass nicht-börsennotierte Aktiengesellschaften darauf verzichten können. Vielmehr ergibt sich die Notwendigkeit eines wirksamen und angemesseneren Risikomanacgementsystems auch aus der allgemeinen Leitungsverantwortung (§ 76 AktG). Daher müssen im Rahmen der fortlaufenden Überprüfung des Risikomanagementsystems (bestandsgefährdende) ESG-Nachhaltigkeitsrisiken identifiziert und überwacht werden. Noch offen ist der Einfluss der ESG-Risiken auf die D&O Versicherungen.

In einem weiteren Beitrag wollen wir uns mit den ESG-Aufsichtsratspflichten befassen.

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