Neue Unternehmensrisiken erfordern Maßnahmen von Vorstand und Aufsichtsrat
Im vorangegangen Beitrag wurde über die zunehmenden Versuche berichtet, Großunternehmen durch Zivilklagen zu einer drastischen und zeitnahen Senkung ihres CO2-Ausstosses zu bewegen.
Hintergrund ist das Pariser Klimaabkommen, das den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf möglichst 1,5°C gegenüber dem vorindustriellen Niveau begrenzen möchte. Akuter Handlungsbedarf besteht aufgrund den Berechnungen des Weltklimarats (IPCC – Intergovernmental Panel on Climate Change) aus dem Jahre 2018, wonach die von den Mitgliedsstaaten festgelegten Ziele bis 2100 zu einem Temperaturanstieg von ca. 3°C führen würden.
Viele Unternehmensleiter haben sich in Sicherheit gewogen, nachdem sie sicher gestellt haben, dass alle bestehenden staatlichen Umweltvorschriften vom Unternehmen eingehalten werden. In den Klima-Klagen gegen Unternehmen berufen sich Umweltorganisationen auf einen Beseitigung- und Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 in Verbindung mit § 823 Abs. 1 BGB. Danach kann von einem Störer verlangt werden, es zu unterlassen, das Eigentum, das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich zu beeinträchtigen. Eine eindeutige Prognose hinsichtlich der Erfolgsaussichten ist kaum möglich. Für Klarheit könnte die geplante EU-Richtlinie über Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmen sorgen (Art. 15 des Richtlinienentwurfs 2022/0051 vom 23. Februar 2022).
Sorgfaltspflichten des Vorstands
Was können und sollten Vorstände in dieser Situation tun und was müssen Aufsichtsräte beachten?
Eine wichtige Vorstandsaufgabe ist die Implementierung eines wirksamen und angemessenen Risikomanagementsystems. § 93 Abs. 3 AktG regelt, dass Wirksamkeit und Angemessenheit im Hinblick auf den Umfang der Geschäftstätigkeit und die Risikolage des Unternehmens betrachtet werden müssen.
In Bezug auf die Risiken aus Klima-Klagen ist die Verfolgung der diesbezüglichen Gerichtsprozesse und Analyse der Urteilsbegründungen zu empfehlen. Aus der Prozessbeobachtung ergeben sich Erkenntnisse über die Argumentationsmuster und Ziele der Klägergruppen und Betroffenen.
Auch der Deutsche Corporate Governance Kodex gibt Hinweise zu Vorstandspflichten. Die Empfehlung Ziff. A.1 regelt, dass der Vorstand die mit den Umweltfaktoren verbundenen Risiken und Chancen sowie die ökologischen Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit systematisch identifizieren und bewerten soll. Vorstandsaufgabe ist die gewissenhafte Auseinandersetzung mit für das Unternehmen relevanten Klimafragen, eine auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Unternehmensstrategie und eine transparente Kommunikation. Aufgrund der neuen Anforderungen an die CSR- und ESG-Berichterstattungen befassen sich bereits viele Geschäftsleiter mit der aktuellen Klimalage des Unternehmens.
Besonders exponierte Unternehmen sollten abwägen eine umfangreiche ESG-Due-Diligence durchzuführen. Abgedeckt werden sollten eine Analyse des Status quo, die Angemessenheit der Maßnahmenplanung und die Wirksamkeit des Transformationsprozesses sowie die Kommunikation der Umweltthemen nach innen und außen.
Rolle des Aufsichtsrats
Wie üblich überwacht der Aufsichtsrat die Geschäftsführung auf Rechtmäßigkeit, Ordnungsmäßigkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit sowie die Leistungsfähigkeit des Risikomanagements. Davon sind zunehmend auch ESG-Aktivitäten des Vorstands betroffen, bei denen der Aufsichtsrat auch als Sparringspartner beraten kann.
Bei börsennotierten Unternehmen ist der Aufsichtsrat bzw. Prüfungsausschuss aufgrund der Prüfungspflicht des § 171 Abs. 1 AktG schon gut mit dem Inhalt und der Prüfung der jährlichen CSR- und ESG-Berichterstattung des Unternehmens vertraut.
Unterjährig sollten Vorstandsberichte angefordert werden im Zusammenhang mit der Eintrittswahrscheinlichkeit und Auswirkungen von Klima-Klagen für das Unternehmen – sowohl finanziell als auch im Hinblick auf die Reputation und Kommunikation.
Je nach Risikolage kann ein sorgfältiger Aufsichtsrat ESG-bezogenene Zustimmungsvorbehalte erlassen, Regelungen in der Geschäftsordnung des Vorstands respektive in Dienstverträgen mit Vorstandsmitgliedern aufnehmen (beispielsweise Verpflichtung des Vorstandsmitglieds zur Einhaltung bestimmter ESG-Konzepte).
Ein weiteres wichtiges Gestaltungsfeld für den Aufsichtsrat ist die Berücksichtigung von ESG- und Nachhaltigkeitszielen im Vorstandsvergütungskonzept wie es der Deutsche Corporate Governance-Kodex sowie viele Stimmrechtsberater und Aktionärsorganisationen fordern.
Da zukünftig der Abschlussprüfer auch die Nachhaltigkeitsberichterstattung einer prüferischen Durchsicht und später einer Vollprüfung mit Testat unterziehen muss, sollte der Aufsichtsrat respektive der Prüfungsausschuss das Gespräch mit dem Abschlussprüfer suchen, um sich über neue Prüfungsschwerpunkte zu informieren und sich ein Bild über die Qualifikation des Prüfungsteams zu machen.
Schließlich verbleibt der Hinweis für die Aufsichtsräte: „not documented – not done“. Zur eigenen Absicherung empfiehlt sich eine Dokumentation der Fragen und Beratungen des Aufsichtsrats zu ESG-Themen einschließlich Klima-Klagen.